Grundlagen von ASS – Diagnostik und Psychotherapie
Autismusspektrum stellt eine neurologische Konstitution dar, die mit anderer Reizverarbeitung und – daraus resultierend abweichender sozialer Interaktion und anderen Bedürfnissen einhergeht. Neben (aus neurotypischer Sicht) qualitativen Einschränkungen in der sozialen Interaktion ist die Beziehungsebene geringer ausgeprägt und es besteht oftmals eine Überbetonung der Logik.
Diagnostik – Autismus erkennen:
Im Seminar gibt es einen kompakten Überblick über die Wechselwirkungen zwischen neurologisch-genetischen Prädispositionen und anderen sozialen Bedürfnissen, den daraus resultierenden Bedürfnissen und Problemen in der Lebensführung sowie gängiger Testverfahren. Anhand von Videoauswertungen wird die Beobachtungsgabe für autistische Merkmale in Körpersprache, Sprachmelodie, Einsatz von Mimik und Gestik erprobt und geeignete differenzialdiagnostische Fragen herausgearbeitet, um einen Autismusverdacht zu bestätigen oder auszuschließen. Zudem werden überblicksartig die gängigen Testverfahren vorgestellt und zum Teil erprobt.
Differenzialdiagnostik
Differenzialdiagnostik ist mindestens ebenso wichtig wie die eigentliche Diagnostik. Autismus, ADHS, Borderline und komplexe PTBS haben in vielen Bereichen Überlappungen im Erscheinungsbild. Differenzialdiagnostik zielt aber auf die Unterschiede ab. Diese Unterschiede liegen in der Beziehungsgestaltung und dem inneren Motiv für die gezeigten Verhaltensweisen. Diese Ebenen zu verstehen, ist essenziell für die Therapieplanung bei komplexen Behandlungsfällen. Naheliegend, aber wahr: -die Lösung eines Problems muss mindestens so komplex wie die Fragestellung sein.

Wie häufig ist Autismus?
Autismusspektrum Störungen werden mit einer Prävalenz von 0,6 ein bis 1 % in der Bevölkerung angegeben. Wenn eine gesicherte Autismusdiagnose vorliegt, liegt in bis zu 46 % zusätzlich ADHS vor. Bei einer gesicherten ADHS-Diagnose liegt bei etwa 36 % der Betroffenen zusätzlich Autismus vor. ADHS-Betroffene stellen etwa 10 % der ambulanten Patienten und 50-60 % der psychiatrischen Patienten. Die angenommene Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter liegt zwischen 5 und 6 %.
Beantworten Sie folgende Fragen:
a) Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für eine unerkannte Autismus-Spektrum-Störung in der ambulanten Praxis?
b) Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für eine unerkannte Autismus-Spektrum-Störung in psychiatrischen Stichproben?
c) Freitext: Was bedeutet der Zusammenhang zwischen Autismus und ADHS für die Verläufe von Psychotherapien, abhängig von den verwendeten Verfahren?
Autismus als Störungsbild
Die autistische Triade definiert die beschreibende Ebene der Autismusdiagnostik, die erfragt, erlebt und gemessen werden kann.
- Qualitative Beeinträchtigung der wechselseitigen sozialen Interaktion
- Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation
- Stereotypes Repertoire von Interessen und Aktivitäten
Zusätzlich: Auffällige Entwicklung von frühester Kindheit an.
Grenzen der Persönlichkeitspsychologie:
Autismus kommt vom griechischen Wort Autos. Das bedeutet selbst. Viele Handlungen sind selbstzweck und
Persönlichkeitsstörungen beschreiben dysfunktionale Muster in der zwischenmenschlichen Interaktion. Diese Konzepte versagen jedoch an der Stelle, wo abweichendes Verhalten keine Interaktionelle Dimension hat, sondern nur vom Empfänger so verstanden wird.
Beispielsweise dann, wenn zwanghafte Handlungen keinen kontrollierenden Charakter haben, sondern Selbstzweck sind, kränkend erlebte Äußerungen („Kannst du so machen, dann klappt’s halt wieder nicht!“) die objektive Beschreibung eines Sachverhaltes darstellen und Familienfeiern deshalb vermieden werden, um eine eigene Überflutung zu vermeiden und nicht weil die Familie des Partners entwertet wird.
Diagnosen, Fehldiagnosen und Behandlungsverläufe
Die Diagnostik in ICD und DSM ist beschreibend, nicht erklärend. Autistische Menschen, die unter Stress psychotische Symptome entwickeln und sich zur Spannungsabfuhr selbst verletzen, landen nicht selten auf der Borderlinestation, wo scheinbar niemandem auffällt, dass es keinen Wechsel zwischen Nähe und Distanz gibt. Von manipulativem Verhalten ganz zu schweigen, da dies eine intuitive Perspektivübernahme voraussetzt. Verhaltenstherapeuten könnten sich die Frage stellen, wie weit eine Expositionsbehandlung bei sozialer Phobie von Erfolg gekrönt ist, wenn die Betroffenen die Regeln der sozialen Interaktion nicht verstehen oder bei Reizoffenheit eine Expositionsübungen der U-Bahn durchgeführt wird. Psychodynamiker könnten sich die Frage stellen, inwieweit die Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung auf andere Beziehungen generalisiert werden kann.
Hinter den Vorhang schauen
Neurotypisches Verhalten ist erlernbar. Viele Menschen im Spektrum haben lebensgeschichtlich Kompetenzen im Überspielen autistischer Merkmale erworben. Formal erfüllt diese Gruppe die diagnostischen Kriterien nicht mehr. Leider kostet das Überspielen der Merkmale und eine neurotypische Lebensweise oft so viel Energie, dass es zu sich dauernd wiederholenden Erschöpfungsdepressionen, Chronic-Fatigue-Syndrom oder auch Autoimmunerkrankungen kommen kann. Insofern kann alleine das Erkennen autistischer Reizverarbeitung im Rahmen der Therapie stark entlastend wirken, da es Betroffenen zu einem Berechtigungserleben eigener Bedürfnisse verhilft.
Tagesseminar – 10 Fortbildungseinheiten – 259 Euro