Die Suche nach einem Therapieplatz oder einer psychiatrischen Behandlung gestaltet sich durch die strukturierte Mangelversorgung im Gesundheitssystem für alle Beteiligten quälend. Patient*innen und Behandler*innen sitzen quasi im selben Boot. Für beide Seiten ist es frustrierend. Die einen bekommen eine große Anzahl an Absagen, die anderen sind gezwungen, jeden Tag Menschen, die ernsthaft in Not sind abzuweisen. Eine klassische Loose-Loose-Situation.
Hier ein Guide um das Beste aus der schlechten Situation zu machen.
Schwerpunkt setzen:
- Ist eine ADHS-Diagnose gesichert? Falls nein, sollte dies zuerst geschehen. Ich weiß, dass das leichter gesagt als getan ist.
- Liegt die gesicherte Diagnose vor, empfiehlt es sich einen Medikationsversuch mit ADHS-spezifischen Medikamenten zu unternehmen. Die Kernsymptomatik der ADHS, wie sie in den Wender UTAH-Kriterien beschrieben ist, reagiert deutlich besser auf eine medikamentöse Therapie als auf eine Psychotherapie. Das ist doof für alle Psychotherapeuten (ich selber bin ja auch einer), entspricht aber der Realität.
- Für eine psychiatrische Behandlung sollten ADHS-spezifische Medikamente verwendet werden. Oftmals wird vorgeschlagen, zuerst die Depression zu behandeln. Hierzu werden Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verwendet. Zum einen haben diese Medikamente nach aktuellem Forschungsstand keinen Einfluss auf die depressive Symptomatik, der über den Placeboeffekt hinausgeht. Bei Interesse lohnt es sich nach dem Begriff Serotonin Hypothese zu googeln. Zum anderen ist die depressive Symptomatik oftmals eine Folge der unbehandelten ADHS. Der logische Menschenverstand sagt einem, dass es mehr Sinn ergibt die Ursache zu behandeln als das daraus folgende Symptom herunter zu regeln.
- Nach Dosisfindung eines ADHS-Medikamentes sollte entschieden werden, ob eine Psychotherapie notwendig ist. Die Mehrzahl der Betroffenen benötigt keine weitere Psychotherapie. Klingt erst mal ungewohnt und widerspricht auch den Behandlungsleitlinien, die immer eine Kombinationsbehandlung vorsehen. Wenn diese Leitlinie jedoch ernst genommen würde, würde es bedeuten, dass bei lebenslanger Einnahme eines Medikamentes auch eine lebenslange begleitende Psychotherapie stattfinden muss. Ironisch überspitzt würde ich vermuten, dass nach 20 oder 30 Jahren alle Elternbeziehungen aufgearbeitet sind.
- In den Fällen, in denen eine Psychotherapie sinnvoll erscheint, wird oftmals nach einem Spezialisten für ADHS gesucht. Dies ist meiner Meinung nach nicht nötig. Bei einer Reduktion der ADHS-Symptomatik kommt es oftmals zunächst zu einer Honeymoonphase mit dem Medikament. Es macht Spaß, Dinge umzusetzen und stabilere Stimmung zu sein. Angelegentlich passiert es jedoch, abhängig davon, wie das Leben bis dahin verlaufen ist, dass eine Verstärkung der depressiven Symptomatik als Reaktion auf verpasste Chancen im Leben eintritt. Dies bedeutet eine Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, den Schwierigkeiten die infolge der unerkannten Symptomatik bestanden haben, eventuell schwierigen Elternbeziehungen, wenn diese ebenfalls betroffen gewesen sind und mitunter Hass-und Enttäuschung über Vorbehandler die Diagnose bagatellisiert, verleugnet oder ignoriert haben. Die Aufarbeitung dieser Erfahrungen kann als ein Trauerprozess verstanden werden. Ein solcher Trauerprozess ist ganz normales, psychotherapeutisches Handwerk, unabhängig von der Ausrichtung der Behandler*innen. Mehr dazu unter folgendem Link.
Wer dennoch eine spezifische Behandlung von Experten wünscht, kann auf der Website ADxS.org nach einer Liste der Behandler fragen. Diese ist nicht öffentlich, wird aber auf Anfrage zugesendet.
Adressen zum finden einer psychotherapeutischen Behandlung
Folgende Anlaufstellen helfen, einen Psychotherapieplatz zu finden.
Die Terminservicestelle (TSS) der kassenärztlichen Vereinigung Hamburg vermittelt Erstgespräche zur Klärung des Therapiebedarfes binnen zwei Wochen. In einzelnen Fällen wird auch ein Therapieplatz vermittelt. Sie erreichen die Terminservicestelle unter der Tel.-Nr. 116117.
https://www.116117-termine.de
Verschiedene Websites mit einer Therapeut*innensuchmaschine finden Sie hier:
www.psych-info.de
www.psychotherapiesuche.de
www.therapie.de/psychotherapie/
www.kbv.de/html/arztsuche.php
www.kvhh.net/de/physicianfinder.html Für Hamburg!!!
www.bptk.de/service/therapeutensuche/
www.deutschepsychotherapeutenvereinigung.de/nc/patienten/psychotherapeutensuche/
Ich wünsche Ihnen, trotz der schwierigen Situation, alles Gute und das nötige Durchhaltevermögen.
Beste Grüße
Nicolai Semmler